BESSER LIEBEN
Ich habe zuletzt viel nachgedacht und mit vielen tollen Menschen viele tolle Gespräche geführt. Über Liebe. Und über Beziehungen. Vor allem…
Ich habe zuletzt viel nachgedacht und mit vielen tollen Menschen viele tolle Gespräche geführt. Über Liebe. Und über Beziehungen. Vor allem darüber, was es braucht, um wahre Liebesbeziehungen aufzubauen und wachsen zu lassen. Und darüber, warum wir so oft daran scheitern.
Hier sind meine Gedanken dazu. Sie sind imperfekt, und auch ein bisschen durcheinander, wie so vieles an mir (und an dir). Aber sie sind ehrlich und persönlich. Ich hoffe sie helfen dir etwas weiter. Und wenn nicht, ist es auch okay. :)
VORSCHNELLES ENDE
Alain de Botton schreibt in seinem Buch The Course of Love, “… wir lassen zu, dass unsere Liebesgeschichten viel zu schnell zu Ende zu gehen. Es scheint, wir wüssten viel zu viel darüber, wie Liebe beginnt, aber viel zu wenig darüber, wie sie weitergehen und wachsen könnte. (…) Was wir typischerweise als ‘Liebe’ bezeichnen ist lediglich der Beginn von Liebe.”
Meiner Erfahrung nach hat er Recht. Es ist sehr leicht die scheinbar mühelose Phase des totalen Verliebtseins zu genießen. Währenddessen ist es unendlich viel schwieriger, Liebe den Raum, die Zeit, und den Erkundungsspielraum zu geben, die sie braucht, um zu wachsen, starke Wurzeln zu entwickeln, und Fehler auszuhalten.
Erst wenn wir gefragt werden, und bereit dazu sind, unsere Komfortzone zu verlassen — intellektuell, emotional und geistig — können Liebe und Verbindung wirklich wachsen. Erst dann gibt es Impulse. Ich denke, wir alle wissen intuitiv irgendwie, dass das stimmt. Doch werden wir dieser Wahrheit gegenüber taub und blind, sobald wir uns dem Rand unserer eigenen Komfortzone nähern. Und dann zucken wir zusammen und schrecken zurück.
In seinem berührend wahren Buch Die Kunst des Liebens spricht Erich Fromm davon, dass wir “… das Anfangserlebnis, ‘sich zu verlieben’, mit dem permanenten Zustand ‘zu lieben’ verwechseln.” Nach Fromm ist echte Liebe das Resultat von anhaltender Anstrengung und Mühe, und nicht nur ein Erlebnis. Laut Fromm ist es wichtig zu verstehen, dass “(…) das Wesen der Liebe darin besteht, für etwas ‘zu arbeiten’ und ‘etwas aufzuziehen’, dass Liebe und Arbeit nicht voneinander zu trennen sind.”
“Liebe ist eine Aktivität und kein passiver Affekt. Sie ist etwas, das man in sich selbst entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt. (…) Sie ist in erster Linie ein Geben und nicht ein Empfangen.”
So wahr einem das auch erscheint, so schwer ist es, das genau so zu leben.
MEIN/DEIN EGO STEHT UNS IM WEG
Eine von Fromm’s interessantesten Erkenntnissen ist, dass Menschen die Liebe und ihre Verbindungen stark für ihre eigenen “narzisstischen” Gründe missbrauchen:
“Die Hauptvoraussetzung für die Fähigkeit, lieben zu können, ist, dass man ‘seinen Narzissmus überwindet’. Der narzisstisch Orientierte erlebt nur als real, was in seinem eigenen Inneren existiert, während die Erscheinungen in der Außenwelt für ihn an sich keine Realität besitzen, sondern nur daraufhin erfahren werden, ob sie für ihn selbst von Nutzen oder gefährlich sind. Das Gegenteil von Narzissmus ist Objektivität; damit ist die Fähigkeit gemeint, Menschen und Dinge so zu sehen, ‘wie sie sind’, also objektiv, und in der Lage zu sein, dieses ‘objektive’ Bild von einem Bild zu trennen, das durch die eigenen Wünsche und Ängste zustande kommt.”
Lass das mal kurz auf dich wirken. Ich denke, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis und es täte uns gut, uns ehrlich zu fragen, ob Fromm hier nicht auch von dir und mir spricht. Von uns allen — egal für wie fähig, reflektiert und objektiv wir uns halten.
In einfachen Worten ausgedrückt heißt das nichts anderes, als dass Liebe als Basis für tiefe, echte und anhaltende Verbindung ganz stark von einer Fähigkeit abhängt. Nämlich die, seine Partnerin oder seinen Partner so zu sehen, wie sie oder er wirklich ist, und nicht nur in Beziehung zu den eigenen Wünschen, Ängsten und Bedürfnissen. Fromm spricht von harter Arbeit, die dafür notwendig ist. Und von Mut, den es braucht, um seinen Partner aufrichtig kennenzulernen wie er ist und zu verstehen woran er glaubt und was seine Werte und seine Fähigkeiten wirklich sind, und nicht nur zu schauen, “(…) ob sie für einen selbst von Nutzen oder gefährlich sind.”
“Wenn ich die Kunst des Liebens lernen will, muss ich (…) versuchen, den Unterschied zu erkennen zwischen dem narzisstisch entstellten Bild, das ‘ich’ mir von einem Menschen und seinem Verhalten machen, und dem wirklichen Menschen, wie er unabhängig von meinen Interessen, Bedürfnissen und Ängsten existiert.”
Fromm beschreibt hier, wie wir uns sehr oft ein Bild unseres Partners und dessen was er sagt und tut machen, basierend darauf, was in uns selbst vorgeht. Und basierend darauf, was wir glauben, was uns dienen und nutzen und gut tun würde — mit all der Verwirrung und Verzerrung, die damit einhergeht. Wie unser Partner wirklich als er oder sie selbst ist, und wie einzigartig schön dieser Mensch sein kann, übersehen wir dabei.
Der Schlüssel scheint darin zu liegen, dass ich meine eigenen Interessen, Bedürfnisse und Ängste zumindest vorübergehend beiseite legen kann, um meinen Partner frei und ehrlich zu erfahren und zu erleben, und zuzulassen, dass dieser Mensch in mein Leben tritt, mich berührt und mich bewegt — ohne dabei Angst haben zu müssen, dass mir etwas weggenommen würde. All das, während ich umgekehrt entscheide, in das Leben dieses Menschen zu treten, ohne Erwartungen und Vorbehalte.
Nur dann kann eine tiefe, robuste und bedeutsame geistige und emotionale Verbindung entstehen, die auf mehr basiert als oberflächlicher Anziehung. Nur dann können wir eine Beziehung und Partnerschaft formen, die tiefer geht als die Gemeinsamkeiten, die wir zu Beginn spüren, und die uns anfänglich so sicher und wohl fühlen lassen.
VERBINDUNG DURCH UNBEQUEMLICHKEIT
Persönlich glaube ich sehr stark daran, dass eine Verbindung, die man gemeinsam trotz seiner Unterschiede — oder gerade wegen dieser — formt, sehr viel stärker, widerstandsfähiger und für beide Partner langfristig viel erfüllender ist. So eine Verbindung zu kreieren braucht allerdings eine Menge Zeit und erfordert Anstrengung, und es wird früher oder später unausweichlich auch mal sehr unbequem werden. Aber genau darum geht es. Aus gemeinsamer Unbequemlichkeit entsteht gemeinsames Wachstum, wenn man es will und zulässt.
Wenn wir zurückgehen zu Alain de Botton’s Beobachtung, dass wir die meisten Liebesbeziehungen viel zu früh enden lassen, dann ist hier wahrscheinlich genau der Punkt, wo das passiert. Wir fühlen uns nicht bereit, unsere Komfortzonen zu verlassen, oder sind noch nicht mal bereit, uns genau das einzugestehen. Wir sind nicht fähig oder willens (oder beides), unsere geistigen und emotionalen Blasen zu verlassen, in denen wir alle (!) so gerne leben und uns so wohlfühlen.
Fromm beschreibt in Die Kunst des Liebens, dass wir alle eine Art irreführende Erwartungshaltung in uns tragen, dass wahre Liebe und einzigartige Partnerschaften ohne Konflikt, ohne Traurigkeit, ohne Enttäuschung, aber dafür mit automatischer Verbindung und grenzenlosem Verständnis füreinander sein müssen. Tatsächlich brauchen wir aber Konflikte, Zweifel, Unterschiede, Missverständnisse, Wut und Enttäuschung — damit wir sie gemeinsam in einer Katharsis lösen, uns dadurch zusammen entwickeln und darüber hinaus wachsen können.
Natürlich funktioniert das aber nur, wenn wir fähig sind dazu, die erlebte Distanz zwischen uns und unserem Partner als Teil unserer inneren Realitäten zu erleben, die Aufmerksamkeit, Fürsorge, und Offenheit brauchen, um gemeinsam untersucht und entdeckt zu werden. Um dann als etwas Wunderbares, und nicht etwas Bedrohendes gesehen und gelebt werden zu können. Das müssen wir unserem Partner gleichermaßen anbieten, wie von ihm empfangen können. Und das ist gar nicht mal so leicht, sondern braucht Mut, Geduld und Übung.
Wir erzählen uns viel zu schnell, dass wir mit unserem Partner trotz unserer Gefühle “halt einfach nicht gut zusammenpassen.” Lange bevor wir überhaupt den Prozess durchlaufen haben, rauszufinden, was “gut zusammenpassen” eigentlich wirklich bedeuten kann.
Dadurch berauben wir uns der Möglichkeit, einzigartige und für uns neuartige Verbindungen zu formen und aufzubauen.
Wir schrecken zurück sobald wir Diskomfort spüren und glauben, dieser sei ein schlechtes Zeichen. Obwohl er in Wirklichkeit vielleicht eher ein Zeichen ist dafür, dass wir mehr in Kontakt gehen müssen zu der Person, die uns so viel bedeutet, dass wir uns reinlehnen anstatt zurückziehen müssen. Dass nun eine Phase des Investierens in Verbindung ist, nicht des Herausnehmens. Aber das können wir nur, wenn wir loslassen von der illusorischen Idee, dass eine gute und richtige Beziehung zu allen Zeiten harmonisch und energiespendend auf allen wichtigen Ebenen sein muss.
Die tiefe, echte und starke Verbindung zu einem Menschen, bei der wir uns alle so sehr wünschen, sie zu haben und zu spüren, kann nur über die Zeit, aufgebaut werden.
Du weißt, dass das stimmt. Ich weiß es. Irgendwie wissen wir das alle. Und doch laufen wir so oft vor der emotionalen Anstrengung davon, die es dafür bei Zeiten einfach unausweichlich braucht. Und versuchen es nicht mal.
Wenn wir von diesen Ansichten und Ideen hören oder darüber lesen und nachdenken, dann antworten wir oft mit “Ja, das ist so wahr! Ich werde das so machen/mache das schon genau so!”
Natürlich liegt die wahre Herausforderung aber nicht darin, das alles zu verstehen, sondern es zu leben. Und das ist ein riesengroßer Unterschied. Fromm nennt es deshalb die Kunst zu Lieben. Es braucht Übung, Selbstreflexion und, vielleicht mehr als alles andere, brutale Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Um zu erkennen, wann man seinem Partner nicht die faire, neugierige und fürsorgliche Aufmerksamkeit schenkt, die er oder sie verdient, und die die Beziehung braucht, um sich zu entwickeln.
Wir müssen brutal offen und ehrlich gegenüber uns selbst sein, um zu erkennen, wenn wir unseren Partner reduzieren darauf, dass er oder sie unseren intellektuellen, emotionalen oder geistigen Bedürfnissen gerecht zu werden hat, so wie wir das wollen. Und zu erkennen, dass wir selbst nicht den Aufwand leisten, der notwendig ist, um eine Beziehung, eine Verbindung, und schlussendlich — wahre Liebe — gedeihen zu lassen.
Um all das gemeinsam aufzubauen, was wir so sehr haben und spüren wollen, müssen wir loslassen können von unserem Ego, zumindest in Momenten und Phasen. Um unseren Partner nicht als Objekt zu sehen, das unsere Bedürfnisse befriedigen muss, sondern als einzigartiges Wesen, das wir wahrhaftig erkunden, kennenlernen, und lieben wollen. Und das in seiner ganz eigenen Art unser Leben so sehr bereichern kann — wenn wir es zulassen.
Vielleicht gelingt es erst durch diesen Mut und diesen Aufwand, dieses aufeinander bedingungslos einlassen, dass wir mit einem anderen Menschen die Verbindung aufbauen können, von der wir alle träumen — weit hinaus über den initialen Funken des “sich Verliebens” und der anfänglichen Freude über gleiche Interessen und gleiche Ansichten.
Eines der in meinen Augen mächtigsten Zitate aus Fromm’s Die Kunst des Liebens ist dieses:
“Unser aller Aufgabe ist nicht, uns sicher zu fühlen, sondern Unsicherheit akzeptieren und aushalten zu können.”
Ich denke, dass Liebe uns unsicher fühlen lässt, weil sie uns emotional involviert in Konflikten. In Unterschieden zwischen dem, was wir wahrnehmen und glauben, und dem, was unser Partner wahrnimmt und glaubt. Vor allem in einer Liebesbeziehung kann das bei Zeiten sehr schwer auszuhalten sein. Insbesondere dann, wenn man sich auf Augenhöhe befindet.
Denn wenn wir uns stattdessen in einer klar definierten Rolle befinden, als Helfer (bspw. mit Kindern, mit Klienten im professionellen Rahmen oder als Mentor) oder Geholfener (bspw. mit unseren Eltern oder mit Mentoren, zu denen wir aufschauen), dann ist es sehr viel einfacher die Unterschiede und Neuartigkeiten, die wir im Kontakt mit anderen erfahren, auszuhalten und zu schätzen. Es ist dann klar für uns, dass wir entweder diejenigen sind, die Führung und Unterstützung geben, oder sie empfangen. Beides gibt uns Sicherheit dessen, was wir erwarten können.
Wenn wir mit unserem Partner in einer emotionalen Liebesbeziehung allerdings auf Augenhöhe stehen, ist überhaupt nicht mehr klar, was wir erwarten können. Manchmal sind wir diejenigen, die geistig und intellektuell eine Richtung vorgeben, manchmal sind wir diejenigen, die eine Richtung aufgezeigt bekommen (was wir schnell als Eindringen in den Komfort unserer eigenen mentalen Welt betrachten). Und dann gibt es alles dazwischen, von der Einigung auf keine Einigung, bis hin zu der Erkenntnis, dass wir uns noch nicht gut genug kennen, um zu wissen, was gerade passiert, oder worum es eigentlich wirklich geht.
Die berühmte Schriftstellerin und Feministin Adrienne Rich hat dazu etwas sehr Schönes geschrieben:
“Eine zwischenmenschliche Beziehung ist ein Prozess, anfällig, schwer und oft beängstigend für beide involvierten Partner, ein Prozess der Neudefinition von Wahrheiten, die man sich sagen kann.”
Beziehungen können und werden unangenehm werden bei Zeiten. Sie müssen es. Sonst könnten wir niemals gemeinsam wachsen und uns zusammen entwickeln.
SIEH MICH NICHT NUR SO WIE DU ES MÖCHTEST
Erich Fromm spricht davon, wie wir immer wieder nicht funktionierende Typen von Beziehungen kreieren. In einer dieser Erscheinungsformen suchen wir nach Symmetrie, in einer anderen nach Vervollständigung. Beide können gar nicht zu tiefer Verbindung und Erfüllung führen, weil wir unseren Partner immer wieder unterbewusst auf seine Funktion reduzieren, unseren Überzeugungen, Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten zu entsprechen bzw. ihnen zu dienen.
Die Suche nach Symmetrie in einer Partnerschaft zeugt von Schwierigkeiten, die wir im Umgang mit Differenzen haben – vor allem dort, wo es unangenehm werden kann. Wir erwarten von unserem Partner, dass er oder sie die Welt so sieht wie wir, uns immer versteht, die gleichen Emotionen zur selben Zeit hat, und die selben Meinungen vertritt – zumindest dort, “wo es wirklich wichtig ist.” Wir betrachten das als eine Notwendigkeit, um eine tiefe und vertrauensvolle Verbindung einzugehen. In Wahrheit reduzieren wir unseren Partner jedoch oft nur darauf, wie gut er oder sie unser bereits existierendes Bild der Welt bestätigt. Dabei erlauben wir ihm nicht, unser Bild auf seine Art zu bereichern, da wir uns bedroht fühlen, sobald wir etwas Widerstand spüren.
Die Suche nach Vervollständigung zeugt von Schwierigkeiten im Umgang mit unseren eigenen Stärken und Schwächen. Wir erwarten von unserem Partner, uns in Bereichen zu helfen, in denen wir selbst Schwierigkeiten haben, und gleichzeitig aber dort still zu folgen oder in Ruhe zu lassen, wo wir uns stark und fähig fühlen. Aber so funktioniert eine Partnerschaft auch nicht. In diesem Falle reduzieren wir den Wert unseres Partners darauf, wie sehr er uns bereichern kann, wenn wir es brauchen, während er sich raushält wann immer wir das wünschen. Dadurch erlauben wir dem Menschen in unserem Leben aber nicht, sich auf seine oder ihre Weise frei und ganz zu entfalten.
Wir merken dadurch nicht, dass die schönste Verbindung und Unterstützung dann entsteht, wenn wir diesem Menschen, der uns so viel bedeutet, erlauben, unser Leben mit allem zu betreten, was sie oder ihn ausmacht. Dabei wird es allerdings immer Teile geben, die fremd und komisch wirken, solange wir sie nicht gemeinsam unvoreingenommen, mit Neugierde, Zeit und Vertrauen wirklich untersucht haben.
Erich Fromm hält zu all dem Folgendes fest:
“Liebe ist nur möglich, wenn sich zwei Menschen aus der Mitte ihrer Existenz heraus miteinander verbinden. (…) Die so erfahrene Liebe ist eine ständige Herausforderung; sie ist kein Ruheplatz, sondern bedeutet, sich zu bewegen, zu wachsen, zusammenzuarbeiten. Ob Harmonie waltet oder ob es Konflikte gibt, ob Freude oder Traurigkeit herrscht, ist nur von sekundärer Bedeutung gegenüber der Tatsache, dass zwei Menschen sich vom Wesen ihres Seins her erleben (…).”
Über tiefer gehende Konflikte in einer Beziehung, die den Kern des eigenen Selbst berühren, schreibt Fromm:
“Wirkliche Konflikte zwischen zwei Menschen, die nicht dazu dienen, etwas zu verdecken oder auf den anderen zu projizieren, sondern die in der Tiefenschicht der inneren Wirklichkeit, zu der sie gehören, erlebt werden, sind nicht destruktiv. Sie dienen der Klärung und führen zu einer Katharsis, aus der beide Partner wissender und gestärkter hervorgehen.”
Nur muss man eben auch genau das zulassen und sich auf diesen Prozess mit seinem Partner gemeinsam einlassen. Und ja, das ist nunmal nicht leicht.
ZU FRÜH UND ZU MUTLOS
Trotz alledem scheint es offensichtlich, dass es Unterschiede zwischen Menschen gibt, die es sehr hart oder gar unmöglich machen können, eine tiefe Liebesbeziehung und eine starke Verbindung zueinander aufzubauen. Ich denke, gemeinsame Werte, ähnliche Visionen für das eigene Leben und die Welt, ein geteiltes Verständnis darüber, wie man mit Menschen umgehen möchte, vielleicht auch was man als gut und schlecht betrachtet — all das ist extrem wichtig. Vielleicht auch nicht verhandelbar.
Alles was darüber aber hinaus geht; welcher Arbeit wir nachgehen, über was wir gerne intellektuell nachdenken, wie wir mitHerausforderungen, Stress und Wut umgehen, wie wir uns selbst ausdrücken, welche Methoden wir verwenden, um in der Welt zu wirken — all das muss nicht gleich sein.
Wahrscheinlich ist es sogar viel interessanter, wenn es nicht gleich ist, sonst gäbe es nichts zu entdecken, nichts voneinander zu lernen, und nichts, worüber man sich auch mal streiten kann.
Tatsächlich aber benutzen wir erfahrene Unterschiede in genau diesen Bereichen häufig als Ausrede, um uns nicht der Unbequemlichkeit von Auseinandersetzung, von Kompromissen, und vor allem von echtem Kennenlernen unseres Partners, stellen zu müssen, sondern uns stattdessen nicht auf die Beziehung und den Menschen einzulassen, “weil die Unterschiede zu groß sind.”
Sicher, wir müssen uns darauf einigen, wie wir unser Leben gemeinsam bestreiten wollen, physisch, emotional und geistig. Aber die möglichen Lösungen können nicht limitiert sein auf “Du musst Dinge so fühlen, erleben und sehen, wie ich das tue — sonst funktioniert es eben nicht.”
Wenn wir all die Erkenntnisse von de Botton und Fromm ernst nehmen, kann man, glaube ich, sagen, dass wir uns in Beziehungen viel zu früh Urteile bilden und zu wenig Mut aufbringen.
Wir bilden uns zu früh Urteile darüber, was reale Unterschiede sind zu unserem Partner, was tatsächliche Konflikte sind, woher diese kommen, was sie bedeuten, wie entscheidend sie für den Aufbau einer echten Verbindung wirklich sind, und — vielleicht am meisten von allen — wie sehr ich vielleicht selbst in meiner eigenen Sichtweise gefangen bin und selbst nicht zulasse, vieles davon gemeinsam mit meinem Partner anzuschauen und loszulassen.
Wir bringen zu wenig Mut auf, um aus unseren eigenen geistigen und emotionalen Komfortzonen zu treten und dadurch einen geliebten Menschen mit all seinen Eigenartigkeiten wirklich kennenzulernen — ohne sofort alles, was wir dabei finden, an unsere eigenen Wünsche, Gewohnheiten und Ansichten zu ankern. Aber das ist nunmal auch richtig schwer und erfordert neben Mut auch Offenheit, Interesse und vor allem Demut (!). Um zulassen zu können, dass Andersartigkeit auch für uns bereichernd sein kann, ohne, dass wir dabei etwas von uns aufgeben müssen.
Basierend auf meinen eigenen Erlebnissen und Erfahrungen, aber vor allem auch darauf, was mir Menschen geteilt haben, die viel (viel!) mehr Erfahrung haben mit dem Aufbau starker Beziehungen, erfüllender Liebe, und tiefen Verbindungen, reift in mir immer mehr die Überzeugung, dass wir einen ganz großen Fehler machen in Partnerschaften.
Wir geben uns der Illusion hin, dass mit dem “richtigen” Partner alles einfach wird. Dass wir automatisch gut lieben können und immer eine tiefe Verbindung spüren werden — weil sie einfach da ist (und auch nicht weggehen kann). Dass wir einander automatisch verstehen werden, ohne uns dafür anstrengen zu müssen. Wir glauben, dass “richtig” bedeutet, dass all das, was wir uns so sehr wünschen — Verständnis, Freiheit und Verbindung — einfach da ist.
Ich glaube, wir verpassen damit eine ganz große Chance. Nämlich die, mit einem tollen Menschen gemeinsam dafür zu sorgen, dass all das entsteht, was wir uns so sehr wünschen. Das ist im Übrigen auch das, was mir ausnahmslos alle Menschen gesagt haben, die in meinen Augen wundervolle und starke Partnerschaften mit ihren “Seelenverwandten” führen: “Es war Arbeit von Anfang an und ist Arbeit jeden einzelnen Tag.”
Irgendwie gibt es ein Paradox, das ich selbst auch schon von beiden Seiten aus erlebt habe. Wir trauen uns nicht wirklich, eine echte Verbindung aufzubauen und eine Partnerschaft zu entwickeln, weil wir glauben, dafür zu wenig Verbindung und Partnerschaftlichkeit zu spüren… Wir glauben, dass wir all das, was wir uns mit unserem Partner so sehr wünschen, nur gemeinsam kreieren können, wenn es ohnehin schon irgendwie da ist. Vielleicht kennst du dieses Gefühl?
Natürlich stimmt es, dass wir Vertrauen brauchen darin, dass der Mensch gegenüber “richtig” ist dafür, dass wir uns immer tiefer mit ihm oder ihr verbinden können. Aber irgendwie beurteilen wir das danach, ob etwas schon da ist, was wir eigentlich erst erschaffen müssten.
Vielleicht geht es ja gar nicht darum, einen richtigen Partner zu finden, sondern einen passenden Partner — mit dem man gemeinsam die richtige Partnerschaft, so wie sie uns beide erfüllt, über die Zeit und mit viel Liebe entwickeln kann.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der gewillt ist, mit dir in eure Verbindung zu investieren, sie mit Mühe aufzubauen, und der sich bewusst ist, dass das Zeit erfordert und auch mal unbequem werden kann.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der gewillt ist, unter deine Oberfläche zu sehen, um rauszufinden, was dich zu dir macht, und wie ihr von euren inneren Realitäten gemeinsam etwas geben und euch dadurch vereinigen könnt, ohne euch dabei selbst aufgeben zu müssen.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der dir erlaubt, auf dem Weg Fehler zu machen. Immer wieder.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der anders ist als du, dich nicht immer sofort überall versteht, dafür aber bereit ist, Anstrengung auf sich zu nehmen, um besser darin zu werden und als dein Partner an deiner Seite in eurer Beziehung zu wachsen.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der dir sagt, dass er dich wirklich kennenlernen will — und es auch so meint. Wissend, dass das nicht immer leicht ist, er aber trotzdem nicht davor zurückschreckt.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der loslassen kann von dem Drang, sich von dir immer bestärkt zu fühlen, um dich zu sehen, wie du bist.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der mit dir gemeinsam daran arbeiten will die geistige und emotionale Verbindung zu bauen, zu erhalten und zu vertiefen, die ihr euch beide so sehr wünscht.
Vielleicht ist dieser passende Partner derjenige, der nichts von alledem perfekt beherrscht, es aber auch von dir nicht erwartet. Der aber mit dir gemeinsam immer besser darin werden möchte, zu lieben. Der sich dafür müht, und auch dir dabei helfen will.
Der großartige Zen Buddhist Master Thich Nhat Hanh hat mal gesagt:
“Zu lieben, ohne zu wissen, wie man liebt, verletzt die Person, die wir lieben.”
Ich stand auf beiden Seiten davon. Zur gleichen Zeit. Ich weiß, wie wahr das wirklich ist. Du wahrscheinlich auch. Es tut weh, auf der Seite zu stehen, nicht gut genug geliebt zu werden. Aber es tut genauso weh, zu realisieren, dass man selbst nicht gut genug lieben kann — und deshalb die Person, die einem so viel bedeutet, verletzt.
Vielleicht ist also der passende Partner für dich (und mich) derjenige, der bereit und Willens ist, zu entdecken und zu lernen (gemeinsam mit dir!), wie man gut liebt. Der, der bereit ist, sich mit dir gemeinsam zu entwickeln, und dabei durch all das zu gehen, was das Leben unausweichlich auf euch werfen wird.
Um diesen passenden Partner zu finden, solltest du selbst natürlich auch versuchen, genau dieser passende Partner zu sein. Und ja, das ist schwer. Aber das wird es immer sein, und das ist okay.
Auch die schönste, erfüllendste, tiefste, inspirierendste und lebendigste Partnerschaft muss erst erschaffen werden. Die stärkste und echteste Verbindung muss erst kreiert werden. Und dann erhalten. Und ausgebaut. Und das ist schwer. Die Unsicherheit darin muss man aushalten können — sie wird immer Bestandteil sein irgendwie, egal mit wem. Deshalb scheitern vermutlich so viele viel zu früh. Aber wir sollten auch wissen, dass wir es mit unserem Partner gemeinsam selbst in der Hand halten. Wir müssen uns nur trauen.
Hier enden meine Gedanken. Und ich erinnere mich daran, wieviel ich selbst noch zu lernen habe bei alldem. Und auch das ist okay. :)
P.S.: Ich kann dir nur ans Herz legen, Die Kunst des Liebens von Erich Fromm zu lesen — oder nochmal zu lesen. Sei offen dafür, dass du noch eine Menge zu lernen hast, denn sehr wahrscheinlich ist das so. Genau wie bei jedem anderen. Sei ehrlich zu dir selbst, wenigstens, wenn gerade niemand hinschaut. ;)
Ich bin sicher, du wirst viel entdecken, was dir hilft besser zu lieben — dich selbst und den Menschen, der dir so viel bedeutet. Es ist okay, wenn du das noch nicht perfekt kannst. Dein Partner kann es sicher auch nicht…
Falls es gerade einen Menschen gibt in deinem Leben, den du gerne so gut lieben können und zu dem du eine tiefere Verbindung aufbauen möchtest, dann teile diesen Prozess mit diesem Menschen und lasst euch gemeinsam darauf ein, zusammen zu wachsen.
Ich glaube, die schönsten Partnerschaften und die tiefste Liebe entsteht genau aus diesem gemeinsamen Versuchen, Lernen, Entwickeln, Fehler machen, einander Helfen und Verstehen.
Lass gerne einen Kommentar hier und sage mir, was du darüber denkst. :)
DANKE ❤